Bericht vom Themenabendortsentwicklung 12. Juli 2017 Für den Vorstand des Grünen Ortsverbandes begrüßte Anselm Hirt die BürgerInnen im gut gefüllten Saal und erklärte die Aktualität des Themas: 1899 ha, das entspricht 2713 Fußballfeldern an Flächen werden jedes Jahr allein in Baden-Württemberg verbraucht, 5,2 ha pro Tag. Als erster Referent sprach Gerhard Zickenheiner, Architekt und Stadtplaner über zentrale Frage der Identität Gundelfingens: noch dörflich oder schon eher vorstädtisch? Scharf kritisierte Zickenheiner die von der Großen Koalition jüngst beschlossene Korrektur des § 13a des Bundesbaugesetzes, da sie Bauen in Außenflächen ohne Umweltprüfung erlaube. Er lobte den Leitbildprozess in Gundelfingen, das Leitbild drohe jetzt aber in der Schublade zu verschwinden, es müsse in Planwerke eingebunden und eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, beispielsweise über einen Masterplan. Wohnen und Mobilität müssten immer zusammen gedacht werden: Parkräume brauchen sehr viel Fläche, Bauen an ÖPNV-Knotenpunkten spart Parkplätze! Das Projekt „Alte Bundesstraße 10“ – neue Wohnformen – sei zukunftsweisend, so ein Projekt hätte Zickenheiner auch gerne in seiner Heimatstadt Lörrach. Heute beanspruche ein jeder 49 m² Wohnraum für sich, 1958/59 waren es noch 16 m². Das sei wie ein über 2 t schwerer Porsche Cayenne, den eine Frau von 60 kg fahre. Die Qualität der Wohnungen müsse geändert werden: Wie können wir mit weniger Raum mehr Spaß haben und dazu noch Geld sparen? Neue Wohntypen müssten geschaffen werden, als Beispiel nannte er ein von ihm selbst konzipiertes 7stöckiges Hochhaus in platzsparender Holzrahmenbauweise: Dadurch würde mehr Fläche auf weniger Raum generiert werden. Das Konzept habe den Architektenwettbewerb gewonnen. Er forderte ein Leerstandskataster, um alle Leerstände einer Gemeinde zu erfassen, ein Grundstückskataster sowie die Schaffung einer Wohnraumbörse. Die Luftbildaufnahme zeige, dass Gundelfingen mögliche Bauflächen lediglich im Norden habe, eine Bebauung dort bedeute aber einen Eingriff in landwirtschaftliche Flächen. Am Büfing sehe er Potenzial, bei allen Neubauten solle man aber unbedingt mit großer Höhe bauen. Zickenheiner ist Bundestagskandidat für den Wahlkreis Lörrach-Müllheim. Als Bundestagsmitglied würde er sich für eine Änderung des Genossenschaftsrechts einsetzen, um neue Wohnformen zu erleichtern; er würde sich für ein umfassendes soziales Wohnungsbauprogramm einsetzen und für die Rücknahme der Änderung des Bundesbaugesetzes. Auch für eine Änderung der EU-Förderung für die Landwirtschaft wolle er sich einsetzen: 80% der 7 Mrd. an Fördermitteln gingen in die 20% Großbetriebe, die kleinteilige Landwirtschaft müsse viel besser gefördert und erhalten werden. Ulrich Martin Drescher, Bundestagskandidat für unseren Wahlkreis, forderte die Aufrechterhaltung der sozialen Durchmischung in Wohngebieten. Gewerbebauten müssten vermehrt gemeinsam genutzt werden – mehr Höhe für verschiedene Betriebe unter einem Dach. Der Stellplatzschlüssel müsse revidiert werden, er treibe die Preise für Wohnraum unnötig in die Höhe (30–40.000 € allein für einen Tiefgaragenstellplatz!). Überdimensionierte Parkräume würden dörfliches Leben verhindern. Drescher möchte sich im Bundestag einsetzen für eine ökologische Wirtschaftspolitik, eine neue Baupolitik mit mehr Zuweisungen für genossenschaftliches Wohnen, Pionierprojekte müssten angestoßen, Gründungswillige besser unterstützt werden. Ein gelungenes Beispiel ist die von ihm mitbegründete Regionalwert-AG. Für die Grüne Fraktion erklärte Evi Tondré, wie mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden könnte durch eine aktive Vorratspolitik der Gemeinde: Grundstücke müssten erworben, die Eigentümer frühzeitig aktiv kontaktiert werden, bevor ein Erbfall eintrete oder Makler zugegriffen hätten. Herr Männer vom Ortsbauamt nahm als Gastredner dazu Stellung und warnte vor dem Antreiben der Preisspirale, wenn die Gemeinde sich in den Wettkampf mit Maklern begeben würde. Wolfgang Losert, Landschaftsarchitekt und Sachkundiger Bürger im Bauausschuss, hielt ein Impulsplädoyer für ein integriertes Gesamtkonzept für die Innen- wie auch Außenentwicklung. Die bisherige Salamitaktik beim Bauen verspeise Baumöglichkeiten, innerörtliche Filetstücke würden viel zu niedrig bebaut. Welche Außengrenzen wünscht sich Gundelfingen, wo soll die Grenze einer zukünftigen Bebauung im Norden verlaufen? Wie, wo und in welchem Tempo möchte Gundelfingen Außenentwicklung betreiben? Hierzu müsse der Bürgerdialog wiederaufgenommen werden – der starke Bürgerwille habe sich in den über 1800 Unterschriften gezeigt, die in kürzester Zeit für den Erhalt des Engler-Hauses zusammenkamen. Losert regte an, Bürgereinlagen zu sammeln für einen genossenschaftlichen Wohnraumerwerb, einen eigenen Kommunalentwickler einzustellen, der ähnlich wie der Sanierungsmanager aktiv auf Eigentümer zugehen solle, um Wohnraumpotenziale zu erschließen. Wie Evi Tondré regte er eine Wohnraumkarawane an. Im Erbfall seien Schenkungen an die Gemeinde denkbar, oder der Verkauf des Erbstücks an die Gemeinde zu einem fairen Preis, der mit einer Bürgermedaille geehrt werden könne. Zum Abschluss rief Anselm Hirt dazu auf, nicht zum jetzigen Zeitpunkt das einzige Tafelsilber, das Gundelfingen für die Ortsentwicklung noch habe, nämlich Nägelesee Nord, zu verbrauchen, sondern stattdessen die Wohnraumkarawane zu starten, eine Wohnraumbörse und Wohnen für Hilfe anzubieten. Georg Löser erinnerte in der anschließenden Diskussion daran, dass in den Jahren 2005 bis 2015 die Einwohnerzahl nahezu konstant blieb, ein Wachstum gebe es nur bei der pro Kopf-Inanspruchnahme von Wohnraum. Bericht: Silke Eisfeld, Bündnis 90/Die Grünen